War die Parade am Sonntag mit 20 Gruppen und 700 Teilnehmern eher unauffällig und - nur nach dem Geräuschpegel gesucht - auch kaum in der Stadt zu finden, so übertraf das Fest auf dem Schadowplatz alle Erwartungen. Mehrere Tausend Besucher drängelten sich am Samstag, den 5. Juni und Sonntag, den 6. Juni 2004 bei strahlendem Sommerwetter zwischen Infoständen, Bierständen, Fressbuden und grosser Bühne.
Die "Familie" hatte alles aufgeboten, was ihr Leben ausmacht. Die anerkannt reichhaltige Kulturszene unter den Schwulen und Lesben füllte die Bühne über die vollen zwei Tage. Von Lesben-Bands über Travestie-Shows bis hin zu Liedermachern fächerte sich das Programm auf.
Der Hang der Szene zu Show-Effekten zeigte sich in den bunten und schrillen Kostümen.
Die Strecke mit den Infoständen war etwas ausserhalb der Reichweite der Boxen, sodass Gespräche möglich waren, ohne dass man sich anbrüllen musste.
alphabetisch, unvollständig
Alle im Düsseldorfer Stadtrat vertretenen Parteien waren mit eigenen Ständen erschienen. Nur die CDU beschränkte sich auf einen Stand der LSU (Lesben und Schwule in der Union). Interessant. Wie kommen denn Schwule in der Düsseldorfer CDU so mit Joachim "alle nach Berlin" Erwin klar? Ein Aktivist sagte dazu: "Was soll ich dazu sagen? Ich habe damit nichts zu tun. Ich komme aus Erkrath." Ach so.
Die SPD Düsseldorf glänzte mit einem Fass Alt (viel zu schnell leer!) und frischem Kaffee und Sitzplätzen! Das garantierte immer viel Besuch am Stand.
Die Grünen hatten den buntesten und bestbesetzten Stand. Traditionell immer den Belangen der Lesben- und Schwulenbewegung verpflichtet, war fast die komplette Düsseldorfer Parteispitze angetreten.
Die Oberbürgermeisterkandidaten waren eingeladen und alle kamen. Fast alle. Nur Oberbürgermeister Joachim Erwin hatte andere, wichtigere Termine. Das wäre vielleicht für viele noch akzeptabel gewesen, hätte Oberbürgermeister Joachim Erwin nicht schon vor längerer Zeit die Düsseldorfer Lesben und Schwulen in der ihm eigenen Direktheit öffentlich beleidigt. Seiner Meinung nach sollten die doch bitteschön "alle nach Berlin gehen".
Sowas tut man nicht. Als Oberbürgermeister schon gar nicht. Vor diesem Hintergrund wirkte seine Absage nicht sehr glaubwürdig.
Für die CDU hatte Klaus-Heiner Lehne, Mitglied des Europa-Parlaments und Kreisvorsitzender der CDU Düsseldorf, den Mut, sich der Diskussion zu stellen. Ein Punkt für ihn. Für die SPD war Oberbürgermeisterkandidatin Gudrun Hock angetreten. Die FDP Düsseldorf wurde den Fraktionsvorsitzenden der Stadtratsfraktion, Dr. Martin Alexander Zeitz vertreten. Der ehemalige Bürgermeister Wolfgang Scheffler präsentierte die Grünen, Ratsherr Frank Laubenburg die PDS.
Moderator Andreas Vollmert stellte seine Gäste vor und begann mit einer persönlichen Erklärung, in der er Joachim Erwins unsägliche Äusserungen in einen Zusammenhang stellte mit Joachim Erwins Motto aus dem Kommunalwahlkampf "Sie könnten meine Familie sein". "Auf so einen Familienvater kann ich verzichten." Verständlich.
Klaus-Heiner Lehne wäre gut beraten gewesen, in diesem Umfeld zum Stichwort Joachim Erwin zu schweigen. Vielleicht hätte er noch den einen oder anderen Punkt beim Publikum holen können. Leider sah er sich aber genötigt, Joachim Erwin zu verteidigen. Andreas Vollmerts persönliche Erklärung sei "unfair und unsachlich" gewesen. Dann versuchte Lehne noch allen Ernstes, die Verdienste der CDU im Allgemeinen und Joachim Erwins im Besonderen für die Düsseldorfer Lesben- und Schwulenbewegung herauszustellen. Seine Körpersprache war dabei denkbar ungünstig bis feindselig. Das konnte nicht gutgehen. Das Publikum reagierte mit Pfiffen und Buhrufen.
Dies war eine Steilvorlage für Gudrun Hock. Sie goss Balsam auf die verärgerten Seelen: "Als erstes möchte ich der Community für diesen wundervollen Tag danken!" Sie betonte die Bedeutung der 25.000 bis 50.000 Lesben und Schwulen für Düsseldorf. "Auch sie haben zum Reichtum der Stadt Düsseldorf beigetragen. Auch unter ihnen gibt es Unternehmer, die Arbeitsplätze schaffen. Ich weiss nicht, ob Sie das wissen, Herr Lehne."
Alle Diskussionsteilnehmer erläuterten den Beitrag Ihrer Parteien zur Verbesserung der Situation der Schwulen und Lesben in Düsseldorf. Glaubwürdig oder weniger glaubwürdig (CDU).
Nach der Diskussion, hinter der Bühne, richtete Gudrun Hock an Klaus-Heiner Lehne die Frage: "Lassen Sie sich jetzt immer für Joachim Erwin verprügeln?" Seine verblüffende Antwort: "Nein, das haben wir gerecht aufgeteilt." Tja...
Am Sonntag, den 6. Juni fand der Abschluss des Christopher Street Days in Form einer Andacht in der Johanneskirche statt. Sie war leider viel zu spät angekündigt und wurde deshalb nur von 30 Leuten besucht, was der Qualität der Veranstaltung in erfrischend lockerer Atmosphäre aber nicht schadete.
Das Motto "...stört die Liebe nicht" wurde in sehr vielfältiger Weise behandelt. "Kann denn Liebe Sünde sein?" (Zarah Leander) wird vermutlich eher selten in einer Kirche aufgeführt.
In seiner Ansprache widersprach Dr. Hans-Georg Wiedemann vehement der Auffassung konservativer Kirchenkreise, homosexuelle Liebe sei "von Gott nicht gewollt". Niemand habe Liebenden vorzuschreiben, ob oder wen sie lieben. Auch und gerade die Kirche nicht. Er erinnerte daran, dass der berühmte Text "Wo Du hingehst, das will auch ich hingehen" aus dem alten Testament im Original von Ruth an Naomi adressiert war. Von Frau zu Frau. Eine Tatsache, der sich kaum ein Brautpaar bewusst sei.
Herausragend und erschütternd zugleich war ein Beitrag, der etliche Zusammenhänge aus Berichten von amnesty international zur Verfolgung von Schwulen und Lesben in über 70 Ländern der Welt vortrug.
Andreas Petersen von der Friedenskirche Düsseldorf glänzte an der Orgel u.a. mit einer eindringlichen Interpretation von "Jesus nimmt das Leiden an" von Olivier Messiaen und zum Schluss mit dem Finale aus der 1. Synphonie für Orgel von Louis Vierne.
Die Mitwirkenden: Andreas Petersen, Stefan Bouillon, Stefan Bey, Sabine Happe, Carsten Körber, Katja Krikowski, Detlef Neinhardt, Sylvia-Fee Wadehn, Traute Wiertz, Hans Georg Wiedemann.
Als Heterosexueller war ich den ganzen Tag auf diesem wundervollen Christopher Street Day Angehöriger einer Minderheit. Es war sehr angenehm, zu erleben, dass diese Szene mit aus ihrer Sicht "Anderen" so offen und liberal umgeht, wie sie es - zu Recht - von der Gesellschaft als Ganzes einfordert. Nicht so schön waren die Blicke und blöden Bemerkungen einiger bürgerlicher Sonntagsspaziergänger, die sich auf den Schadowplatz verirrten. Die Probleme dieser Leute werde ich nie verstehen. Offensichtlich sind es solche Leute, die Joachim Erwin mit seinen Hetzreden erreichen will.
In Köln kamen 2002 erstmalig mehr Menschen zur Christopher Street Parade als zum Rosenmontagszug. Wie lange wird es dauern, bis es auch in Düsseldorf soweit ist? Ich freue mich auf den Christopher Street Day 2005 in Düsseldorf. Gerne wieder ohne Joachim Erwin. Es gibt Alternativen...
Text & Fotos: Rainer Kersten